Vom Sinn und den Möglichkeiten der Beschreibung - Teil 6

Gottfried Boehm, Bildbeschreibung. Über die Grenzen von Bild und Sprache, in: Ders./Helmut Pfotenhauer (Hgg), Beschreibungskunst - Kunstbeschreibung. Ekphrasis von der Antike bis zur Gegenwart, München 1995, S. 23-40.

 

S. 36-38: Der ikonische Kontrast - die Interaktion von Faktum und Wirkung

 

 Jackson Pollock, Number 32. 1950 (Lackfarbe auf Leinwand), 1950; Düsseldorf, Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen

 

Was bisher über Ekphrasis, die "Kunst der Beschreibung", gesagt worden ist, gilt vordergründig nur für gegenständliche Kunstwerke. Wie aber will man ein ungegenständliches Kunstwerk beschreiben? Boehm zufolge besteht eine - unbefriedigende - Lösung darin, sich in die Beschreibung der Entstehung eines solches Kunstwerks, wie beispielsweise eines "drippings" von Jackson Pollock, zu flüchten. Aber dadurch entsteht vor den Augen des Lesers oder Hörers eines solchen Texts kein adäquates Pendant zu dem tatsächlichen Werk.

 

Boehm konzentriert sich wegen der Vielfältigkeit der Kunst des 20. Jahrhunderts im Folgenden exemplarisch auf das Werk von Josef Albers (1888-1976), nicht zuletzt da er selbst seine Kunst theoretisch reflektiert und Texte hinterlassen hat, "die überraschende Einsichten auch für das Beschreibungsproblem enthalten." (36)

 

Albers beschäftigte sich in seiner Serie "Homage to the Square" mit Werken, die in der Tradition des Bauhauses ein "rechenbares, geometrisches Schema" zur formalen Grundlage haben. Sie bestehen aus ungemischten Farben: "Malerei ist ihren Erzeugungsregeln nach völlig rationalisiert, zu einem scheinbar technischen Geschäft geworden." (37)

 

Josef Albers, Homage to the Square, 1959; Frankfurt am Main, Schirn

 

Jedoch verwirrt Albers im konkreten Werk - von denen das in der Frankfurter Schirn nur eines von Hunderten ist - den Blick: es "folgt eine starke anschauliche Irritation auf dem Fuße." Für den Betrachter sind die Beziehungen der Elemente im Bild nicht wirklich zu klären. Es ist nicht zu entscheiden, ob es eine Perspektive gibt und damit Raum oder nicht, die Beziehungen von Zentrum und Peripherie changieren vor dem Auge des Betrachters ständig, bzw. - in der Terminologie Boehms - sie "interagieren". "Das ganze Bid erscheint belebt, als ein Lebendiges, das sich gerade nicht rechnen und konstatieren läßt." (37)

 

Es besteht also ein gewisser Kontrast zwischen dem rational Feststellbaren des Kunstwerks und der damit hervorgerufenen Wirkung, seiner "nur noch vollziehbaren Lebendigkeit". Albers nennt diese beiden 'Pole', zwischen denen sich das Kunstwerk bewegt, den factual fact und den actual fact oder in der Transformation durch Boehm "Faktum" und "Aktum". "Das Bild sehen heißt, diesen Kontrast betrachtend zu vollziehen, seine Bewegungsimpulse, sein visuelles Potential zu aktivieren. Das Bild ist weder die bloße Konstruktion, noch das private Gefühl, das es auslösen mag (seine psychologischen Folgen im Betrachter). Das Bild ist sinnlicher Prozeß, die Interaktion selbst, deren Spielraum von Bildgröße, Farbfolge, Beleuchtung etc. bedingt wird." (37)

Ich setze diese Worte fett, weil sie weit über das Werk von Albers hinausgehen. Im Grunde kann man sagen: 'So funktioniert Kunst im 20. Jahrhundert'. Sie besteht aus materiellen Voraussetzungen, noch schlichter: aus Material, und wird erst zur Kunst, indem der Betrachter aus diesem 'Faktum' ein 'Aktum' werden lässt, es in Bewegung versetzt, durch seine Fantasieleistung belebt, es nutzt, um damit ein Werk erst zu erschaffen. - Inzwischen hat sich dafür der Begriff der "Performativität" eingebürgert. Boehms Ausführungen haben dafür eine gewisse Vorreiterrolle.

 

Für eine mögliche Ekphrasis wäre Boehm zufolge dort anzusetzen, wo das Faktum zum Aktum wird, zu Wirkung. "Sie kann sich jetzt am jeweiligen anschaulichen Prozeß orientieren, den es darbietet." (37) Ein ungegenständliches Bild zu beschreiben, heißt also, das "Moment des Lebendigen" zu beschreiben, das sich durch die Mitwirkung des Betrachters im Betrachter ergibt. Und auch dieser Prozess erzeugt einen (oder mehrere) Sinn(e), kann sich - abhängig vom Betrachter (der im Sprachgebrauch der Performativität zum 'Teilnehmer' wird) - zu einer "komplexen Metaphorik" entwickeln, "die der Interpret auszulegen versucht - so vieldeutig sie auch bleiben mag." (38)

 

Allerdings darf sich auch die Beschreibung eines modernen Kunstwerks nicht mit der Schilderung subjektiver Empfindungen begnügen. Stattdessen sollte der Fokus einer solchen Beschreibung, der ja auf dem "Moment des Lebendigen" liegen soll, auf der gegenseitigen Abhängigkeit zwischen dem Faktum und dem Aktum liegen. Erst so beginnt das 'Material', aus dem das Kunstwerk besteht, zu 'sprechen'.

Man könnte es auch mit einem anschaulichen Vergleich illustrieren: Es macht wenig Sinn, ein Fluggerät am Boden zu beobachten und zu beschreiben, oder ein Paar Skier im Sportgeschäft, oder ein Musikinstrument in seinem Kasten. Es muss 'in Aktion' sein, damit es 'lebendig' wird.

Wobei es auch hier deutlich wird, wie wichtig die Angemessenheit der Sprache ist. Text und Bild müssen miteinander korrespondieren. Nur so kann der Text sprachlich aufweisen, "was das Bild seinerseits zeigt". (38)

 

"Auch das reduzierteste Bild der Moderne veranlaßt uns nicht in unmittelbares Schweigen zu verfallen, starren Auges zu brüten. Die Beschreibung hat ihre Zielsetzung nicht aufgegeben, sie verfolgt sie mit veränderten Mitteln." (38)

 

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