Lächelnde Heilige oder wie wir uns irren können

(Archiviert) Prophet, Freiburg. im Breisgau, um 1320-30; Freiburg i.Brsg., Augustinermuseum

 

 

 

"Ältere oder gar greisenhafte Männer" seien es, so ist im Museumskatalog von 2010 zu lesen, die die Prophetenfiguren vom Freiburger Münsterturm zeigten: "ihre Gesichter empfindsam, ernst, von innerem Leiden gezeichnet, bisweilen tragisch verdüstert in der Vorahnung kommenden Unheils."

Natürlich, denken wir als unbedarfte Betrachter, sie haben ja auch allen Grund für diese tragische Düsterkeit - bei dem, was diese alttestamentarischen Propheten alles gesehen haben und/oder prophezeien mussten!

Und tatsächlich sehen ihre Gesichter düster aus, mit den tiefen Stirnfalten und den gewölbten Augenbrauen, die tiefe Schatten auf ihre Augen werfen - Details, die auf die Entfernung von über 50 Metern und in der Untersicht, in der sie hoch oben am Turm mehr erahnt, als gesehen werden konnten, tatsächlich gar nicht zu erkennen waren (wir erkennen sie jetzt, da die Figuren seit Kurzem im Augustinermuseum in Freiburg im Breisgau auf ebener Erde ausgestellt sind).

Die Prophetenfiguren stammen dem Katalog zufolge aus der Zeit um 1320/30, als der Turm des Freiburger Münsters zu Zweidritteln fertiggestellt war. Der Text beschreibt sie wie lebende Personen, nicht wie die Darstellung von mythischen Gestalten, von deren Wirken das Alte Testament berichtet. Er legt die gleichen Kriterien daran, wie sie für ein Porträt des 19. oder 20. Jahrhunderts gelten würden, lässt dabei allerdings außer Acht - und das sollte uns stutzig machen -, dass es sich um Kunstwerke handelt aus einer Zeit, in der für Kunst gänzlich andere Regeln galten, in der Kunst ganz anders 'funktionierte' als die Kunst der Neuzeit oder der Moderne, mit der wir so vertraut sind.

 

Dass diese Art der Wahrnehmung und Beschreibung - ohne das Bewusstsein des großen, zeitlichen und kulturellen Abstands - höchst problematisch ist, bemerkt man, wenn man sich mit kritisch-neugierigem Auge in der Kunst des Mittelalters umsieht und dabei berücksichtigt, dass zwischen der Entstehung der Prophetenfiguren und unserer Gegenwart fast 700 Jahre liegen, in denen sich Europa in nahezu allen Bereichen der Gesellschaft vollständig verändert hat - nicht zuletzt in der Art, wie Kunst betrachtet wird.

 

Ein Beispiel für dieses Phänomen, das uns verunsichern sollte, sind die Darstellungen eines Kanonblatts aus der Zeit um 1300 im Germanischen Nationalmuseum in Nürnberg. Sie zu betrachten, legt sich gerade in diesem Augenblick nahe, denn angesichts der oben zitierten Beschreibung des Augustinermuseums-Katalogs stellt sich die Frage, ob eine 'porträthafte' Deutung der Prophetenfiguren den Absichten der mittelalterlichen Künstler, die die Prophetenfiguren schufen, überhaupt gerecht wird - ob wir sie also, so, wie es der Katalog tut, 'richtig sehen' oder ob wir auf diese Weise nicht vielmehr Kriterien an sie anlegen, die zwar für die Neuzeit und die Moderne, nicht aber für das Mittelalter gelten.

Würzburger Miniatur, Kanonblatt, um 1300; Nürnberg, Germanisches Nationalmuseum

 

 

 

Auf den ersten Blick ist auf der Miniatur zu erkennen, dass wir hier eine Darstellung der Kreuzigung Christi vor uns haben.

Bei genauerem Hinsehen wird indessen deutlich, dass alle Figuren unter dem Kreuz lächeln! Selbst die Muttergottes, der ein großes Schwert in ihrer Brust steckt (entsprechend einem Wort aus dem Lukasevangelium, demzufolge der noch jungen Mutter Maria prophezeit wird, dass ihr einst "ein Schwert durch die Seele dringen" wird; Lk 2,35), scheint entspannt und sogar ein wenig kokett den Betrachter anzulächeln, während Johannes der Täufer und der Apostel Johannes am Stamm des Kreuzes vorbei lächelnde Blicke auszutauschen scheinen, als würden sie sich angeregt und amüsiert über einen Gegenstand austauschen, den der Täufer in seiner rechten Hand hält und auf den er mit dem Zeigefinger seiner Linken zeigt.

Würden wir diese Miniatur mit demselben Blick ansehen, mit dem der Katalog des Augustinermuseums die nahezu zeitgleich entstandenen Prophetenfiguren betrachtet und deutet - und wenn das bei dem einen legitim erscheint, müsste es das bei dem anderen ebenso erlaubt sein -, würden wir zu seltsamen Ergebnissen kommen. Oder wir müssten, wie das in der einschlägigen Forschung lange Zeit üblich war, uns tief in theologische Erwägungen, Debatten und Spekulationen vertiefen, bis wir eine Begründung für diese überraschende Beobachtung gefunden hätten - hier eignet sich immer ein Blick in die mystische Literatur, denn aus dieser lassen sich die ungewöhnlichsten Schlüsse ziehen; indessen aber wohl keine, die auf einigermaßen folgerichtige Weise das Lächeln der Heiligen unter dem Kreuz zufriedenstellend erklären würden.

 

Dabei liegt es viel näher, einen anderen Weg zu wählen: Statt verborgene Hintergründe zu vermuten oder dem Künstler gar Unvermögen oder einen Fehler zu unterstellen, können wir unser eigenes Sehen hinterfragen. Wir könnten hinterfragen, ob wir die Miniatur auf die richtige Art und Weise sehen und deuten.

 

Zugespitzt könnte die Frage lauten: Wenn die Heiligen auf der um 1300 entstandenen Miniatur lächeln, ist mit diesem "Lächeln" dann auch das verbunden und gemeint, was wir heutzutage mit einem Lächeln verbinden? Hat der Maler sie also bewusst lächelnd (und die Propheten bewusst düster) gezeigt, um damit auf jene Aussage des Lächelns (oder des düsteren Blicks) zu rekurrieren, die wir heute, 700 Jahre und mehrere Epochenschwellen später, damit verbinden?

 

Tatsächlich verstehen wir ein Lächeln als einen Hinweis auf die psychische Befindlichkeit des Lächelnden. Wir lesen es als eine Äußerung seines Innenlebens, die auf Wohlbefinden, Zufriedenheit, Sanftmut und Freundlichkeit schließen lässt. Ein Lächeln gewährt uns in unserem Verständnis einen Blick in die Seele eines Menschen, ist ein Zeichen seiner momentanen, psychischen Disposition.

 

Das Würzburger Kanonbild ist 700 Jahre alt. Angesichts dieses Alters und der historischen Distanz stellt sich die Frage, ob der mittelalterliche Künstler es gewohnt, es also üblich war, dass die Darstellung eines menschlichen Gesichts - also nicht das menschliche Gesicht selbst, das ihm auf der Straße begegnete - die seelische Befindlichkeit der dargestellten Figur abbildete. Bedeutete die Darstellung der Mimik, kurz gesagt, das gleiche, wie es die Mimik im 'wirklichen Leben' bedeutete? (Denn dass auch vor 700 Jahren das Lächeln eines Menschen auf der Straße auf eine positive Befindlichkeit schließen ließ, dürfte außer Zweifel stehen.)

 

Sehen wir uns die Miniatur daraufhin noch einmal an, so werden wir feststellen, dass die Gesichter der Figuren unter dem Kreuz sehr schematisch dargestellt sind. Zwar wirken sie auf den ersten Blick amüsiert, als gingen die Personen zu einem höfischen Tanz, doch bei einem Blick auf die Details zeigt sich, dass vor allem die Mund- und Nasenpartie jeder Figur gleich ist, als sei sie aus einem Musterbuch kopiert. Auch die von der Nasenwurzel nach oben strebenden Augenbrauen sind nahezu identisch. Eine psychologisierende Charakterisierung der einzelnen Figuren, die immer auch eine Individualisierung der Person wäre, sähe sicher anders aus.

 

Zudem ergibt sich ein eigenartiger Effekt. Je länger man hinsieht, desto weniger scheint der Gesichtsausdruck ein 'Lächeln' zu sein.

 

All diese Beobachtungen führen unweigerlich zur Geschichte des Porträts in der abendländischen Kunst. Denn unsere anfängliche Frage führt zu einer weiteren, die eigentlich gestellt werden müsste, bevor ein Text wie derjenige im Museumskatalog niedergeschrieben würde: War es im 14. Jahrhundert bereits üblich, mithilfe der Mimik einen Blick ins Innere, in die Seele der dargestellten Person zu ermöglichen? Bedienten sich die Künstler zu jener Zeit dieser Möglichkeit? Hatten sie ein Interesse daran, die Gefühlswelt einer jeden der dargestellten Figuren im Detail vor dem Betrachter auszubreiten? Wenn das der Fall ist, dann wäre dies am ehesten im Porträt geschehen, denn in unserem Verständnis geht es im Porträt um genau diese Art der Individualisierung durch eine psychologische Durchdringung.

 

Der Blick auf die Geschichte des Porträts zeigt allerdings, dass es im 14. Jahrhundert ein autonomes Porträt noch gar nicht gab. Die Gattung war gewissermaßen noch nicht erfunden worden. Allerdings gab es Vorstufen, deren älteste - erhaltene - in jene Zeit führen, in der wir uns mit der Würzburger Miniatur und den Freiburger Prophetenfiguren befinden.

 

Simone Martini, Der Hl. Ludwig von Toulouse krönt Robert von Anjou (Detail), um 1317; Neapel, Museo e Gallerie Nazionali di Capodimonte

 

 

 So sind auf diesem Bild von Simone Martini beispielsweise gleich zwei historische Persönlichkeiten zu sehen: Der Hl. Ludwig, Bischof von Toulouse, und sein Bruder Robert von Anjou, gemeinsam während der Krönung Roberts zum König von Neapel. Mindestens die Darstellung Roberts lässt erkennen, dass es dem Maler ein Anliegen war, ihn mit seinen eigenen, individuellen Gesichtszügen darzustellen.

Wollte man indessen diese Gesichtszüge wiederum im Sinne einer Mimik in unserem Verständnis lesen, in dem die Gesichtszüge auf das individuelle Befinden und/oder den Charakter des Dargestellten verweisen, müsste man seinen Gesichtsausdruck als 'mürrisch' bezeichnen (seine heruntergezogenen Mundwinkel mit den charakteristischen Falten um die Nase erzeugen diese Wirkung). Und in diesem Fall müsste man wiederum, wie bei dem Würzburger Bild, zu eigenartigen Schlüssen kommen - so als stünde Robert dem Geschehen seiner eigenen Krönung kritisch bis ablehnend gegenüber, als würde ihm irgendetwas daran nicht gefallen (um es vorsichtig zu sagen). Unserer Phantasie sind dabei keine Grenzen gesetzt - allerdings ahnen wir anhand dieser Zusammenstellung an Bildbeispielen, dass diese Deutungen an der Absicht des Künstlers zu dieser Zeit weit vorbeiführen.

 

Um es kurz zu machen: Aus der Geschichte des Porträts - exemplarisch aus dem Bild Simone Martinis - entnehmen wir, dass mittelalterliche Künstler auf der einen Seite malerisch-technisch durchaus in der Lage waren, "differenzierte, am natürlichen Erscheinungsbild orientierte Physiognomien [...] darzustellen." (Anm. 1) Gerade das obige Bild zeigt, dass der Maler Robert von Anjou so zeigen wollte, dass er wiedererkennbar war, während er dies bei dem Heiligen Ludwig offenbar bewusst vermied: dieser "ist einer theologischen Realitätsebene anvertraut, die ihn in der Gemeinschaft der Heiligen gleichsam entpersonalisiert." (Anm. 2) Auf der anderen Seite diente die Darstellung des menschlichen Gesichts, das entnehmen wir den frühesten, erhaltenen Porträts, jedoch ganz anderen Zwecken, als wir sie 700 Jahre später erwarten.

 

Im Grunde läuft es auf die Erkenntnis hinaus, dass das menschliche Gesicht als Ausdruck seiner individuellen Persönlichkeitnoch nicht in die Aufmerksamkeit der Künstler des 13. und 14. Jahrhunderts getreten war. Kommunikation beispielsweise fand eher über Gestik statt als über Mimik. Wer oder was sprach, war die gesamte Figur, sie sprach mit den Händen, durch ihre Haltung und durch die Verwendung bestimmter Attribute.

 

Speculum humanae salvationis, Anfang 14. Jahrhundert

Diese Herrscher beispielsweise in einer Handschrift des Speculum humanae salvationis, ebenfalls vom Beginn des 14. Jahrhunderts, tragen nicht nur Insignien ihrer Macht, sie sitzen auch in einer ganz bestimmten Weise: sie haben die Beine übereinander geschlagen - nicht, weil sie es sich auf ihrem Thronsitz bequem gemacht haben, sondern weil diese Haltung die Bedeutung hat, dass sie Richter sind, die Gerichtsgewalt innehaben.

Die Gesichter aller dargestellten Figuren sind in ganz ähnlicher Weise 'konstruiert', wie wir es bei dem Würzburger Kanonblatt beobachtet haben, so dass die Mimik geradezu entspannt wirkt. Aber es ist unschwer zu erkennen, dass ein solcher, entspannter Gesichtsausdruck nicht zu den dargestellten, dramatischen Szenen passen würde. Die Figuren 'sprechen' über ihre Haltung, nicht aber über die Mimik, die, obwohl sie uns 'lächelnd' erscheint, im Verständnis der Zeitgenossen ausdruckslos bleibt.

 

Und so verhält es sich auch mit dem 'Porträt' Roberts von Anjou: Ganz offensichtlich war es wichtig, dass es die Züge des Königs von Neapel trug, er also wiedererkennbar war. Aber statt einer psychologischen Charakterisierung ging es bei der Darstellung um die ostantative Demonstration der Tatsache, dass Robert von einem Heiligen gekrönt wurde, seine Herrschaft also durch diesen legitimiert worden ist. Tatsächlich haben Fachleute bemerkt, dass die übergroßen, den Blick auf diese Weise unweigerlich auf sich ziehenden, gefalteten Hände Roberts mehr an die Geste erinnern, mit der ein Lehnsmann die Belehnung entgegennimmt, als dass sie ein Gebetsgestus wären. Was hier dargestellt ist, ist ein bindender, juristischer Akt, wobei der Lehnsherr noch dazu ein Heiliger ist, die Legitimation also gewissermaßen unmittelbar von Gott kommt. Und dies drückt sich mehr durch Hände und Haltung des Königs aus als durch seine Gesichtszüge, die allein auf Wiedererkennbarkeit angelegt waren. An eine psychologische Charakterisierung der Persönlichkeit Roberts, der den Beinamen "der Weise" trug, hat hier weder der Auftraggeber, noch der Maler, noch der Betrachter gedacht. Das Thema des Bilds ist vielmehr die "himmlische Investitur [...], die ihrem Empfänger anschaulich eine unantastbare Legitimität verleihen sollte." (Anm. 3)

 

Giotto di Bondone, Beweinung Christi, 1304-1306; Padua, sog. Arenakapelle

Es gehört zu den epochemachenden Erfindungen Giottos, bei den Darstellungen menschlicher Figuren deren Emotionen auszudrücken.

 

An der zwischen 1304 und 1306 entstandenen Beweinung Christi in der Arena- bzw. Scrovegnikapelle in Padua ist einerseits zu beobachten, wie der Künstler dies noch größtenteils über die Körperhaltung ausdrückt. Bei den überdeutlichen, z.T. ausladenden Gesten geht es nicht um eine Art 'Expressionismus', jedenfalls nicht, wenn man darunter eine emotionale Übersteigerung versteht, sondern vielmehr um die Anwendung der üblichen Mittel, um Kommunikation anzudeuten (vergleichbar den Schauspielern in der unmittelbaren Nach-Stummfilmzeit, die z.T. ihre übertriebene Mimik und Gestik beibehielten, obwohl sie nun auch sprechen konnten). Neu ist allerdings, dass es dabei einerseits um eine Art psychologischen Ausdrucks geht, den es bis zu diesem Zeitpunkt noch nicht gegeben hat, und dass Giotto andererseits - was aus heutiger Sicht so nahezuliegen scheint - die Mimik in die Darstellung einbezieht.

Das ist sogar an den schmerzerfüllten Gesichtern der Engel zu sehen, die geradezu chaotisch über dem Leichnam Christi durcheinanderwirbeln und auch in ihrer Mimik ihren Schmerz ausdrücken.

 

Aber - dies gilt es zu beachten - dies ist künstlerisches Neuland. Giotto hatte dafür kein Vorbild in der Kunst, sondern er musste diese Art des emotionalen Ausdrucks der 'Natur', der sichtbaren 'Wirklichkeit', seiner unmittelbaren Umgebung abschauen (tatsächlich erzählt Vasari, dass es gerade diese Fähigkeit der Beobachtung und Nachahmung war, die Giotto in besonderer Weise auszeichnete [Anm. 4]). Damit markiert Giotto wiederum den Beginn einer neuen Entwicklung, der die Kunstgeschichte in entscheidender Weise prägen wird. Ohne diese Hinwendung zur Darstellung der Emotionalität in der Kunst hätte es kein psychologisierendes Porträt gegeben - und die Geschichte des Porträts zeigt, dass es bis dahin noch etwa 200 Jahre dauern wird. Der zaghafte Beginn dazu steckt in der Entdeckung der Mimik in der Kunst, die sich am Beginn des 14. Jahrhunderts mit dem Namen Giottos verknüpft.

 

Alles dies - und noch sehr viel mehr - gilt es zu beachten, wenn wir mittelalterliche Darstellungen menschlicher Figuren betrachten und damit beginnen, sie und vor allem ihren Gesichtsausdruck psychologisierend zu deuten. Es muss uns klar sein, dass unser Blick geprägt ist durch eine jahrhundertelange Entwicklung künstlericher Möglichkeiten und Gepflogenheiten, die noch im 13. oder 14. Jahrhundert auf einem ganz anderen Stand war. Die Welt jener Zeit 'funktionierte' ganz anders, als es die heutige Zeit tut, und in der Kunst war dies nicht anders.

 

Daher müssen wir vorsichtig in unserer Beabachtung und behutsam in der Deutung sein.

Wenn wir in den Gesichtszügen einer Figur des 13. oder 14. Jahrhunderts Emotionen zu sehen meinen, dann ist es keineswegs sicher, dass es die Absicht des Künstlers war, solches auszusagen oder auszudrücken. Konnotationen, Bedeutungen, können vom Betrachter in die Darstellung hineingesehen werden, ohne dass es dem Künstler bewusst war, dass es eine solche Lesart geben würde.

Aus diesem Grund ist es höchst fraglich, ob die Prophetenfiguren im Freiburger Augustinermuseum wirklich so düster schauen, weil sie so "empfindsam" sind, "von innerem Leben gezeichnet" oder "tragisch verdüstert in der Vorahnung kommenden Unheils". Das ist eine dezidiert moderne Sicht auf diese Skulpturen - die zeitgenössische Art der Deutung dieser Werke aber fokussiert (wahrscheinlich) auf etwas ganz Anderes. Das scheinbare Lächeln der Muttergottes und der übrigen Heiligen unter dem Kreuz auf dem Würzburger Kanonblatt hat dies ganz deutlich gemacht.

 


Anmerkungen

(1) Andreas Beyer, Das Portät in der Malerei, München 2002, S. 23.

(2) Beyer 2002 (wie Anm. 1), S. 25.

(3) Ebenda.

(4) Giorgio Vasari, Lebensläufe der berühmtesten Maler, Bildhauer und Architekten. Aus dem Italienischen übersetzt von Trude Fein, Nachwort von Robert Steiner, Zürich 1974, S. 42.