Vom Sinn und den Möglichkeiten der Beschreibung - Teil 3

Gottfried Boehm, Bildbeschreibung. Über die Grenzen von Bild und Sprache, in: Ders./ Helmut Pfotenhauer (Hgg), Beschreibungskunst - Kunstbeschreibung. Ekphrasis von der Antike bis zur Gegenwart, München 1995, S. 23-40.

 

Die Distanz von Wort und Bild in der Moderne

 

Die Moderne im 19. Jahrhundert zeichnet sich unter anderem dadurch aus, dass im Sinn des Bestrebens nach Erfahrungserweiterung die einzelnen Sinneseindrücke und ihre Ausdrucksformen jeweils für sich überdacht werden. Es findet gewissermaßen eine Trennung, eine Diversifizierung der Sinneseindrücke auf dem Weg ihrer Reflexion statt.

Boehm bezeichnet es als ein "Schlüsselerlebnis" (26), als erstmals von den Impressionisten das unvoreingenommene Sehen von dem durch Vorwissen geprägten Sehen unterschieden wird. Max Imdahl bezeichnet das eine als das sehende, das andere als das wiedererkennende Sehen. Während letzteres wesentlich von der Sprache geprägt ist, ist es ersteres - das, unvoreingenommene, sehende Sehen - gerade nicht. Vielmehr wird das Bild auf diesem Weg "zu einer Welt des Auges, die sich jenseits bekannter Erfahrungsräume öffnet. Der Verlust an Wiedererkennbarkeit, die Fremdheit der künstlerischen Physiognomie wird ausgewogen durch die Aussicht, in eine neue und unbekannte Realität vorzudringen." (27) Dafür benötigt der Betrachter nicht sein Vorwissen, sondern die wache Bereitschaft, sich mittels des Sichtbaren auf ganz neue Weise anregen zu lassen.

Die Kunst der Moderne hat sich gerade dieser Form der Rezeption verschrieben. Nicht das Abrufen von schon Gewusstem ist ihr Ziel, sondern vielmehr die Ermöglichung ganz neuer Erfahrungen. Nicht bekannte Erzählungen sind noch ihr Thema, sondern ein ganz neues Universum subjektiver und individueller Erfahrungen.

Caspar David Friedrich, Eismeer, 1821; Hamburg, Kunsthalle

Das hat Auswirkungen auf die Möglichkeiten der Beschreibung. Kunst die vor-sprachlich ist, kann vielleicht im Nachhinein von der Sprache eingeholt werden, doch verhindert die Subjektivität und Individualität der jeweiligen Kunst-Erfahrung eine allgemeingültige Fixierung durch Sprache. Die erste Voraussetzung der Beschreibung solcher Kunstwerke ist daher ihr Bewusstsein der eigenen Grenzen.

"Wenn sich das Bild im visuellen Vollzug erschließt, sein künstlerisches Sein sich erst im Akt der Wahrnehmung erfüllt, dann kann die Beschreibung nicht hoffen, in Worten ein stabiles Äquivalent, eine Art sprachliches Abbild zu schaffen." (27)

Dagegen kann sie ihre Aufmerksamkeit auf die Voraussetzungen und Strategien zur Erzeugung der genannten Erfahrungen angesichts von Kunstwerken richten. Zu diesen können auch inhaltliche Hinweise gehören, sich jedoch auch auf rein formale beschränken. Eine Beschreibung kann Strukturen benennen wie auch ihre Irritation und Störung. Ebenso können Farben beschrieben werden wie auch der Effekt, den sie im Zusammenspiel erzeugen. Bis zu einem gewissen Grad geht dies ebenso mit Formen. Und es können Beziehungen dieser und weiterer Elemente zueinander sowie deren Verweigerung mit Worten wiedergegeben werden.

 

Es mag also die abstrakte, mehr noch die gegenstandslose Kunst sein, angesichts derer das Verhältnis von Bild und Sprache und damit die Möglichkeit der Beschreibung eines Kunstwerks am schwierigsten, die Differenz zwischen beiden am größten ist. Aber die Beschreibung kann auch bei anderen Formen und Stilen von Kunst schwerfallen. "Max Beckmann z.B. stärkte die sprachferne, die betont anschauliche Ausdruckskraft seiner Bilder nicht durch die Vermeidung von allem Wiedererkennbaren, von Figuren, Zeichen oder Erzählungen. Und doch erwehren sich auch seine Gemälde - zum Leidwesen vieler seiner Interpreten - allen Versuchen, sie in einen sprachlichen Kontext einzubinden, in dem sich das Sichbare gleichsam entschlüsselt, in seiner Bedeutung voll heraustritt." (28) Es muss offensichtlich nicht Ungegenständlichkeit sein, die die Beschreibung erschwert, es kann auch die Vieldeutigkeit des Gegenständlichen sein.

Noch stärker als bei Beckmann ist dieses Vorgehen bei René Magritte zu beobachten.

René Magritte, La clef des songes (Der Schlüssel der Träume), 1930

In den frühen "Sprachbildern" spielt Magritte ausdrücklich mit dem Verhältnis von Text und Bild. In "La clef des songes" (1927) z.B. widersprechen sie einander offensichtlich. Die Beziehung von Text und Bild zueinander wird fragwürdig, ohne jemals aufgelöst zu werden. In seinem berühmten Bild "Verrat der Bilder" geht Magritte sogar noch ausdrücklicher vor.

René Magritte, Verrat der Bilder, 1928-29; Los Angeles, Los Angeles Conty Museum of Art

Der Satz "Ceci n'est pas une pipe" (Dies ist keine Pfeife) negiert ausdrücklich, was das Bild doch so offensichtlich zu zeigen scheint.

Was auch hier deutlich wird, ist die Chance, auf dem Weg der Problematisierung des Verhältnisses von Text und Bild angesichts von entsprechenden Kunstwerken zu neuen Erkenntnissen zu gelangen, die nicht innerhalb der Grenzen der Sprache bleiben, sondern diese wesentlich überschreiten. Bilder werden auf diesem Weg zu Toren in eine noch unbekannte Welt, die noch nicht durch Sprache domestiziert worden ist.

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