Vom Sinn und den Möglichkeiten der Beschreibung

Es hört sich an wie eine Banalität und gewöhnlich hält man sie auch dafür. Aber die Beobachtung zeigt, dass sie gerade deswegen unterschätzt wird. Man behandelt sie meist stiefmütterlich, vor allem deswegen, weil man ihren Sinn nicht erkennt. Man beginnt die Betrachtung eines Kunstwerks mit einigen wenigen Blicken und stürzt sich fast unmittelbar in die Assoziation oder in die Aktivierung des angelesenen Wissens. Auf diese Weise kommt zustande, was Goethe in das Wort "Man sieht, was man weiß" gegossen hat - ein Wort, das in aller Munde ist und das doch von kaum jemandem wirklich ernst genommen wird.

Das "sie", von dem hier die Rede ist, ist die Beschreibung. Immer wieder begegnet man der Frage: Warum ein Kunstwerk mühsam beschreiben - man sieht doch alles.

Dem könnte man entgegenhalten: Man sieht erst, was man beschreibt.

 

Die bewusste, selbst kunstvolle Beschreibung von Kunstwerken hat schon jahrtausendealte Tradition. In der griechischen Antike nannte man sie "Ekphrasis" und man betrieb sie bis in die Neuzeit hinein beinahe wie ein Gesellschaftsspiel. Aber selbst wenn es kein Spiel ist, macht jeder, der die Betrachtung eines Kunstwerks - und wenn es ihm noch so bekannt erscheint - mit einer ausdrücklichen Beschreibung beginnt, die Erfahrung, dass er in der Regel ganz neue Entdeckungen macht. Die Beschreibung eines Kunstwerks ist nicht nur nicht überflüssig, sie steht sogar ganz am Beginn jeder neugierigen und wirklich offenen Betrachtung eines Kunstwerks. Sie ist die Grundlage für jedes Verständnis eines Kunstwerks - das uns ja niemals etwas sagen oder zeigen will, das wir ohnehin schon wissen, sondern das uns etwas Neues, häufig Unerwartetes mitteilen oder erfahren lassen will. Ohne eine Beschreibung bleiben wir dieser Erfahrung unzugänglich.

 

1995 erschien der Band "Beschreibungskunst - Kunstbeschreibung", herausgegeben von Gottfried Boehm und Helmut Pfotenhauer. Er war Teil der Buchreihe "Bild und Text", denn in dieser Zeit wurde in breit angelegter, interdisziplinärer Zusammenarbeit durch Vertreter der unterschiedlichsten wissenschaftlichen Disziplinen das Verhältnis von Bild und Text untersucht. Vor allem Literaturwissenschaftler und Kunsthistoriker untersuchten die unterschiedlichsten Formen des Zusammenwirkens von Bild und Text von der Antike bis zur Gegenwart.

Die Beschreibung von Kunstwerken war eines der wichtigsten Untersuchungsfelder, denn im Rahmen einer Beschreibung wurde das eine Medium (Bild) in das andere (Text) transformiert und das Verhältnis beider wurde am unmittelbarsten sichtbar.

 

Als der Kronzeuge für diese Transformation gilt bis heute eine Textpassage aus Homers "Ilias" (entstanden im 8. Jahrhundert v. Chr.). Dort wird beschrieben, wie Hephaistos, der hinkende Gott des Feuers und der Schmiedekunst, die Esse anheizt und für den unverwundbaren Achilleus, den Tapfersten der Griechen vor Troja und Bezwinger Hektors, aus Erz, Gold, Silber und Zinn (Ilias 18, V. 474f) einen Schild schmiedet (Homer, Ilias, Gesang 18, Verse 468-608).

In mehreren konzentrischen Kreisen legt er darauf Bilderstreifen an, die er - wenn man Homer glaubt - mit äußerst kleinteiligen Darstellungen anfüllt, angefangen von Bildern des Weltalls über solche der Erde mit Meer und Himmel, über Städte mit entsprechendem, städtischen Leben (Hochzeiten, Volksversammlungen), über kriegerische und bäuerliche Handlungen bis hin zu wilden Tieren, die das von Hirten gehütete Vieh reißen.

Die Beschreibungen der von Hephaistos geschaffenen Bilder gehen allerdings weit über die reine, verbale Reproduktion statischer Abbildungen hinaus, werden stattdessen zu Erzählungen sukzessiver Handlungen, die zudem synäthetisch geprägt sind, also alle Sinne ansprechen.

 

"Drauf auch ein Rebengefilde, von schwellendem Weine belastet,

Bildet' er schön aus Gold; doch glänzeten schwärzlich die Trauben;

Und lang standen die Pfähle gereiht aus lauterem Silber. [...]

Jünglinge nun, aufjauchzend vor Lust, und rosige Jungfraun

Trugen die süße Frucht in schöngeflochtenen Körben.

Mitten auch ging ein Knab' in der Schar; aus klingender Leier

Lockt' er gefällige Tön' und sang anmutig von Linos

Mit hellgellender Stimm'; und ringsum tanzten die andern,

Froh mit Gesang und Jauchzen und hüpfendem Sprung ihn begleitend."

(Homer, Ilias 18, V. 561-572; Übersetzung von Johann Heinrich Voß)

 

Der Schild ist Teil der neuen Rüstung, die Achilleus auf Geheiß seiner Mutter Thetis innerhalb nur einer Nacht durch die Hand des Hephaistos erhält, um darin seinen gefallenen Freund Patroklos zu rächen (der die Rüstung des Achilleus getragen und sie an Hektor verloren hat). Es fällt auf, dass Homer nur den Schild so ausführlich schildert (130 Verse), während die übrigen Teile der Rüstung in nur fünf Versen abgehandelt werden.

 

Erika Simon beschreibt in dem Band, aus dem wir im Folgenden einige Aufsätze lesen wollen (Gottfried Boehm/ Helmut Pfotenhauer [Hgg], Beschreibungskunst - Kunstbeschreibung. Ekphrasis von der Antike bis zur Gegenwart, München 1995), die Wirkung des Vortrags der Passage aus Homers "Ilias" auf die antiken Zuhörer. Deren Vorkenntnisse sowie ihr gutes (weil geschultes) Textgedächtnis wie auch ihre ausgeprägte (weil geschulte) Fähigkeit zur Visualisierung (bildlicher Vorstellung) wird dazu geführt haben, dass während des Vortrags ein plastisches, gut einprägsames Bild vor ihren inneren Augen entstand, das sie lange in ihrem Inneren zu bewahren in der Lage waren. "Das heißt, man konnte Bilder, auch solche der dichterischen Phantasie, lange vor Augen haben. Diese optische Begabung dürfte ähnlich intensiv gewesen sein wie die akustische [...]. Durch diese beiden antiken Eigenschaften, mit denen der Dichter natürlich rechnete, war nach 130 Versen der gesamte Schild in allen Details den Hörern präsent." (S. 125)

 

An Homers Darstellung des Schilds des Achilleus wird ganz besonders deutlich, in welchem Maß Text und Bild einander ergänzen. Die Bilder enthüllen ihre Bedeutung in ihrer ganzen Fülle nur dann, wenn diese Bedeutung durch den Text präzisiert und gegebenenfalls in eine Erzählung aufgelöst wird. Und die Sprache wird nur anschaulich, wenn sie dafür durch die Vision, die bildliche Vorstellungskraft, ergänzt wird. Nur so wird sie überzeugend. Wenn Bild und Text miteinander in einem Wettstreit liegen, dann nicht, um einander auszuschließen, sondern um des Miteinanders willen. Nur gemeinsam erschließt sich die ganze Fülle des Sinns einer schriftlichen oder bildlichen Darstellung.

 

Gottfried Boehm hat sich in einem Aufsatz in dem Band "Beschreibungskunst - Kunstbeschreibung" mit diesem "Wettstreit" zwischen Bild und Sprache beschäftigt.

 

Gottfried Boehm, Bildbeschreibung. Über die Grenzen von Bild und Sprache, in: Ders./ Helmut Pfotenhauer (Hgg), Beschreibungskunst - Kunstbeschreibung. Ekphrasis von der Antike bis zur Gegenwart, München 1995, S. 23-40.

 

I. Ekphrasis und Deskription

Der Begriff Ekphrasis (griechisch: "Beschreibungskunst") macht deutlich, dass es diesen Wettstreit tatsächlich schon seit der Antike gibt, also seit mehr als zwei Jahrtausenden. Boehm nennt ihn indessen nicht einen 'Streit', vielmehr eine "Gleichung zwischen der Sprache und den Bildern" (S. 23), denn die Konkurrenz, die zwischen beiden seit dem 18. Jahrhundert besteht, kennzeichnete die voraufgehende Zeit noch nicht.

Dass es überhaupt möglich ist, Bilder in Sprache umzuwandeln, sie sprachlich angemessen wiederzugeben, zeugt tatsächlich von einer unglaublichen "Bildkraft der Sprache". Sprache ist ganz offensichtlich in der Lage, verschiedene Sinnesleistungen oder -eindrücke zusammenzufassen und ihnen adäquat Ausdruck zu geben.

Zwar hat sich die Art der Beschreibung zwischen Homers Beschreibung des Schilds des Achilleus und der kunstwissenschaftlichen Beschreibung im 20. (und 21.) Jahrhundert stark verändert, doch der gesamten Geschichte der Kunstbeschreibung liegt die Fähigkeit der Sprache zugrunde, Bilder angemessen wiedergeben zu können.

Sprache kann zeigen, wie es auch ein Bild kann - damit wird dieser Wettstreit zu einem Kapitel der Geschichte des Paragone, des Wettstreits der Künste. Prinzipiell sind Bild und Text also durchaus miteinander vergleichbar.

Erst seit dem 18. Jahrhundert wurde dieses Verhältnis im eigentlichen Sinn problematisiert. Nun erschien das Bild als "etwas 'Unsagbares'" (24), zugleich die poetische Sprache als etwas so komplexes und Vieldeutiges, dass es nicht in ein (scheinbar) eindeutiges Bild übersetzbar war. Das Verhältnis zwischen Bild und Sprache erschien nun erstmals als fragwürdig. Das 'Werkzeug', das die Sprache vorher beispielsweise für die Kunstwissenschaft gewesen war, wurde nun hinterfragt.

Dies ist gewissermaßen die Grundlage, auf der ein derart umfangreicher und interdiziplinärer Band wie der vorliegende - "Beschreibungskunst - Kunstbeschreibung" - entstanden ist. Sein Ziel ist es, die Voraussetzungen adäquater Bildbeschreibungen, also der Transformation des einen Mediums (Bild) in ein anderes (Sprache), zu untersuchen. Man könnte auch einfacher fragen: ob eine angemessene Wiedergabe eines Bilds mit den Mitteln der Sprache, ob also sprachliche Beschreibung von Kunst überhaupt möglich (und sinnvoll) ist.

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