Ikonoklasmus. Auslöschung - Aufhebung - Negation (S. 54-71)
Bilderfeindschaft - "Ikonoklasmus" - ist ein Phänomen, das es innerhalb der Kulturgeschichte nicht nur des Abendlands immer wieder gibt. Dabei geht es bei der Zerstörung von Bildern nie um die Bilder selbst, sondern immer um etwas anderes. Aber gerade daran ist gut zu beobachten, wie Bilder funktionieren: es geht in ihnen immer um etwas anderes, um etwas, das hinter ihnen steht oder in ihnen repräsentiert wird. In diesem Sinn sind Bilder Stellvertreter, ihre Zerstörung ist eine symbolische Zerstörung dessen, was sie darstellen: des Urbilds.
In diesem Aufsatz geht es jedoch nicht nur um die Zerstörung schon existierender Bilder, sondern auch um das Verbot der Anfertigung von Bildern. Dieses steht, wie
Boehm deutlich macht, geradezu am Beginn unserer Kultur.
Drei Passagen
Der erste Abschnitt des Texts handelt von eben diesem Bilderverbot. Boehm stellt fest, dass ein solches Bilderverbot, wo immer es begegnet, nicht schlechtweg alle Bilder betrifft, sondern ausschließlich jene, die, wenn sie etwas Religiöses betreffen, das Heilige - ja, das Allerheiligste - betreffen, oder, wenn sie aus dem Bereich der Politik kommen, den oder die Mächtigen, die Träger der Macht.
Es geht bei einem solchen Ikonoklasmus, also der Bilderfeindschaft, immer um Präsenz: Solche Bilder zeigen etwas Abwesendes (beispielsweise das Heilige) oder eine abwesende Person (beispielsweise den Herrscher) und machen sie auf diese Weise gegenwärtig, präsent. Damit ist gewissermaßen der Kerngedanke der Bilderfeindschaft - auch von Bilderkult - genannt: Bilder machen Abwesendes präsent.
Das erste Bilderverbot: Moses und Aaron
Das Bilderverbot innerhalb der Zehnt Gebote (Dekalog), ist das erste Bilderverbot, das wir aus jener Kultur kennen, aus der die abendländische hervorgegangen ist. Interessanterweise steht es gleich ganz am Beginn dieses Gesetzeswerks, was zweifellos auf seine Wichtigkeit schließen lässt.
Dieses Bilderverbot im Dekalog, so stellt Boehm heraus, zielt auf ein Anderssein ("Alterität"), auf etwas also, das einer anderen Sphäre, einer anderen Realität angehört als der Mensch. Es zielt, könnte man auch sagen, auf eine Unfassbarkeit.
Gott, der Schöpfer des Menschen, schafft in jedem Menschen ein Abbild seiner selbst - "nach dem Abbild Gottes schuf er ihn". Boehm mutmaßt, dass ein Bild dieses Urbilds - ein Bild von Gott - dessen Vielfalt einschränken würde, da es eine Anverwandlung Gottes durch den Menschen darstellen würde. Schließlich würde sich in diesem Fall der Mensch einen Gott erschaffen nach seinem Bild und er würde damit die Kardinalsünde des Sein-Wollen-wie-Gott begehen. Die Alterität, das Anderssein Gottes besteht aber gerade darin, dass er undarstellbar ist - undarstellbar, aber trotzdem präsent. Gott steht, so formuliert es Boehm, "außerhalb jedes denkbaren Vergleichs". (S. 58)
Mose und Aaron sind innerhalb der Geschichte Personifikationen des Bilderfeinds bzw. Bilderstürmers und des Bilderfreunds bzw. Bilderverehrers. Mose verbietet und zerstört sie, Aaron gießt ein Goldenes Kalb und gibt den Israeliten damit ein Bild, das sie verehren können. Mose und Aaron repräsentieren damit die beiden möglichen Extrempositionen. Für Aaron und die Israeliten verkörpert das Bild eine Gottheit, worin diese Bildtheorie, wie Boehm erwähnt, der katholischen Eucharistie nahestehen mag. Jedenfalls findet sich dieses Verständnis im Verständnis der Eucharistie wieder: In der Wandlung werden Brot und Wein in den Leib und das Blut Christi verwandelt, und wenn der Priester dem Gläubigen die Hostie übergibt, sagt er noch heute: "[Dies ist der] Leib Christi." Mose dagegen steht eher für die protestantische Auffassung, die lediglich einen Verweis meint: das Brot im protestantischen Abendmahlsgottesdienst wird nicht verwandelt, sondern es dient als Symbol, als Verweis eben auf jenes historische Ereignis, mit dem die Kirche gestiftet wurde und der Leidensweg Christi begann.
Prinzipiell aber macht das in den Augen Aarons Reizvolle, in den Augen des Mose Gefährliche die Fähigkeit des Bilds aus, diese Differenz zwischen den Realitätsebenen bzw. dem Gegenwärtigen und dem Abwesenden zu überbrücken. Bilder können zwischen beiden changieren, sie vermögen es, aus Absenz Präsenz zu machen, und das macht sie in den Augen derer, die Götzendienst und Götzenanbetung verhindern wollen, prinzipiell gefährlich, zumal wenn, wie im Fall des Gottes im Alten Testament, die Kontrolle über diese Präsenz in die Hand der - unzuverlässigen, zum Götzendienst neigenden - Menschen übergeht.
Die ikonoklastische Bildpraxis
Boehm beobachtet, dass im 19. und v.a. im 20. Jahrhundert Künstler in eine Art Manie der Begründung des eigenen Tuns verfallen. Tatsächlich gerät 'das Bild' in dieser Zeit immer mehr in einen Rechtfertigungszwang. Ein wesentlicher Zug dieser Selbstreflexion aber sei der Angriff, der Ikonoklasmus. Boehm nennt ihn einen Zug zur "aufbauenden Destruktion". (S. 61)
Tatsächlich wird ja der Angriff auf die etablierte Auffassung von Kunst gerade zu einem Hauptmerkmal der Moderne, man könnte also gewissermaßen vom Ikonoklasmus als einem Wesenszug der Moderne sprechen. "Ikonoklasmus ist also der Angriff auf das etablierte Spektrum formaler und inhaltlicher Unterschiede, das sich in der Geschichte der Neuzeit so reich entfaltet hatte." (S. 63)
Protagonisten sind, Boehm zufolge, vor allem Kandinsky und Malewitsch mit ihren abstrakten, mithin bilderstürmerischen Bildern und Konstruktionen. Und letztlich erscheint es sogar reizvoll, diesen Prozess des moderenen Ikonoklasmus auf die Frage der Präsenz hin abzuklopfen: Offen, wie es ein 'modernes' Kunstwerk sein muss, kann ein Kunstwerk schließlich nur sein, wenn sich keine allzu konkrete Präsenz darin manifestiert. Zu viel Präsenz oder überhaupt die Vorgabe einer konkreten Präsenz würde den Betrachter einschränken und die Offenheit des Kunstwerks beschneiden. Von daher muss ein modernes Bild geradezu ikonoklastisch vorgehen, um dem Betrachter wirklich eine leere - oder nahezu leere - Bühne oder, mit Boehm, einen nahezu leeren Schauplatz für seine Imagination anbieten zu können.
Am konkretesten wird dieser Vorgang, wenn Robert Rauschenberg eine Zeichnung seines Kollegen Willem de Kooning buchstäblich ausradiert. Der Akt der "Weißung" ist zugleich ein äußerlicher wie ein innerer Vorgang des Ikononklasmus - der Bilderzerstörung - und er wird beispielsweise durch das Löschen von Kreuzen oder den Fotographien von Gesichtern durch Arnulf Rainer fortgesetzt. Was hier getan wird, ist ein Akt der Negation, bei dem nicht nur das eine Bild zerstört, sondern zugleich ein anderes geschaffen wird, das sich seinerseits dadurch auszeichnet, dass es nicht mehr 'Bild' im herkömmlichen Sinn, sondern eher Bild-Raum, Bühne, Schauplatz ist.
Noch konsequenter - oder vielschichtiger - scheint der amerikanische Maler Ad Reinhardt (1913-1967) diesen Prozess voranzutreiben, denn seine "black paintings" schließen komplexe Erinnerungen, Assoziationen, Ansätze für die Imagination ein, indem sie in einem langen, langsamen Prozess der Negation entstehen: Schwarz sind sie, weil Reinhardt so lange Quadrate aus den Grundfarben übereinander legt, "bis sie ihren Buntheitswert eingebüßt und ihr transparentes Licht verloren haben und sich allesamt einem minimal differenzierten Dunkel annähern." Die Schwärze dieser Bilder ist also Resultat reiner "Subtraktion der chromatischen und luminaristischen Unterschiede." (S. 65)
Es ist, schreibt Boehm, "dieser Moment des Verschwindens, den diese Malerei vermittelt. Ein dämmernder Abgrund, der alles Licht verzehrt, aus dem es sich aber auch meldet. Reinhardt hat sich an eine Grenze vorgewagt, wo das Bild in eine inszenierte Unsichtbarkeit übertritt, es nicht mehr darstellt, sondern mit dem Betrachter interagiert, ihn einem schwarzen Licht, dem Schwund der Helligkeit und der Dichte des Dunkels aussetzt." (S. 66)
Ikonische Negation
Boehm kommt abschließend auf die Grundfragestellung seines Buchs zurück, auf die "Fähigkeit der Bilder, Sinn und Bedeutung mit visuellen Mitteln, das heißt auf dem Weg des Zeigens, zu explizieren." (S. 67) Und die These, mit der er diese Frage an dieser Stelle nun zu beantworten sucht, lautet nicht weniger provozierend als kryptisch: "Deixis [...] beruht auf Negation." (S. 67)
Zeigen, so Boehm, das daherkommt als ein 'aussehen wie ...' oder ein 'scheinen als ...' beinhalte immer einen "Moment der Negation", denn zeigen könne es nur, indem es zugleich etwas verdeckt, es partiell auslöscht, "dessen es doch bedarf, damit das Dargestellte jeweils Halt findet." (S. 68)
Es ist wie mit dem Zeigestock an der Tafel: Indem er zeigt, verdeckt er auch, was dahinter liegt. "Was sich zeigt, tritt so vor seinen Grund, dass dieser hier und nur hier verschwindet. [...] Zeigen setzt mithin Verbergen voraus." (S. 69)
Allerdings ist bis zu diesem Punkt am Ende des Aufsatzes noch nicht deutlich geworden, zu welcher Einsicht diese Beobachtung letztlich führt. Das könnte beispielsweise die Erkenntnis sein, dass Zeigen - ein Bild von etwas - verändert. Ein Bild schafft Präsenz, wie Boehm zu Beginn dargelegt hat, jedoch niemals des 'Urbilds', sondern einer Projektion, die vom Zeigenden mindestens ebenso abhängig ist wie vom Urbild. Gefährlich wird es spätestens dann, wenn das Bewusstsein dieser Differenz verloren geht und die Projektion für das Urbild gehalten wird. Eben dies ist die Gefahr der Bilderverehrung und der Grund für Bilderzerstörung, den Ikonoklasmus.
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